Zum Einsatz von Pflanzenkohle in der Landwirtschaft gehen die Meinungen auseinander. Viele Landwirte berichten begeistert von der Wirkung auf Tiere und im Feld, andere sehen nur hohe Kosten ohne relevanten Nutzen. Auf der anderen Seite sehen Umweltbehörden einen breiten Einsatz teilweise kritisch, da der Nutzen für Böden in unseren Breitengraden zu gering sei. Was sagt die Forschung? Welche Fakten sind gesichert? Welche Wirkung wird vermutet? Und wo bestehen noch Wissenslücken? Nikolas Hagemann von Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, gibt im Interview mit Charnet einen Überblick über den Stand des Wissens.
Dr. Nikolas Hagemann forscht seit über 10 Jahren zum Thema Pflanzenkohle. Der Geoökologe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Umweltanalytik von Agroscope und wissenschaftlicher Leiter des Ithaka Instituts.
Nikolas Hagemann, Sie forschen seit Jahren zum Thema Pflanzenkohle. Welchen Nutzen bringt die Pflanzenkohle in Schweizer Böden?
Nikolas Hagemann: Es sind vielfältige positive Wirkungen von Pflanzenkohle in Böden wissenschaftlich nachgewiesen. Die wichtigsten sind, dass Pflanzenkohle die Nährstoffspeicherung des Bodens verbessern kann und zum Bodenaufbau beiträgt. Zudem kann Pflanzenkohle wichtige Beiträge zur Anpassung an den Klimawandel leisten, damit die Böden angesichts längerer Trockenperioden und intensiverer Niederschläge ihre Funktionen langfristig erfüllen können. Ich denke da insbesondere an die Wasserspeicherkapazität, die wir erhöhen müssen. Und das gelingt am besten, wenn wir den Humusgehalt der Böden gezielt steigern. Pflanzenkohle wird dies nicht allein leisten können. Sie ist aber neben einer angepassten Bodenbearbeitung oder neuen Anbaumethoden wie Agroforst ein wichtiger Puzzlestein.
Was kann Pflanzenkohle nicht?
Die oft beschriebene kurzfristige Ertragssteigerung durch den Einsatz von Pflanzenkohle ist insbesondere bei Ackerkulturen in unseren Breitengraden wissenschaftlich nicht breit nachweisbar – im Gegensatz zu tropischen Regionen. Über den Bodenaufbau kann Pflanzenkohle aber dazu beitragen, die Erträge auch angesichts des Klimawandels langfristig auf dem heutigen hohen Niveau zu sichern.
«Über den Bodenaufbau kann Pflanzenkohle dazu beitragen, die Erträge auch angesichts des Klimawandels langfristig auf dem heutigen hohen Niveau zu sichern.»
Über welche Mechanismen trägt die Pflanzenkohle zum Humusaufbau bei?
Studien zeigen, dass Pflanzenkohle das mikrobielle Leben und damit den Umsatz von organischem Material anregt. Vereinfacht dargestellt, basiert dies auf folgendem Mechanismus: Mikroorgansimen brauchen Energie zum Wachsen. Pflanzenkohle oder auch Huminstoffe vereinfachen ihnen den Zugang zu energiereichem «Futter», zu energiereicher organischer Substanz, die sie sonst langsamer aufschliessen können. Auf den ersten Blick ist diese erhöhte Aktivität nicht erwünscht, da sie kurzfristig netto zu einem Abbau organischer Substanz im Boden führt. Aber wir wollen einen lebendigen Boden, in dem viel organische Substanz umgesetzt wird. Mehr Mikroorganismen mit höherem Stoffumsatz führen langfristig zu einem höheren Wurzelwachstum, zu mehr Biomasse auf und im Boden und damit zu mehr organischer Substanz. Deshalb ist nach 4 bis 6 Jahren netto ein Zuwachs an organischer Substanz zu beobachten; der Boden wird aufgebaut und Kohlenstoff gespeichert.
«Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Anwendung von Pflanzenkohle im Boden die Auswaschung von Nitrat reduziert.»
Wie wirkt Pflanzenkohle als Nährstoffspeicher?
Aus rein chemischer Perspektive kann produktionsfrische Pflanzenkohle kaum Nährstoffe speichern – Sorption von Nitrat, Kalium oder Phosphat findet kaum statt – das bedeutet, dass es keine direkte Interaktion zwischen diesen Ionen und der Kohleoberfläche gibt. Diese Eigenschaft verändert sich jedoch zum Beispiel durch Kompostierung sowie mit längerer Verweildauer im Boden. Auch kann Pflanzenkohle sehr wohl nährstoffreiche Flüssigkeiten aufsaugen und dann die Nährstoffe langsam abgeben. Dies ist ein physikalischer Effekt durch die Porösität der Pflanzenkohle, keine Sorption. Insgesamt ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Anwendung von Pflanzenkohle im Boden die Auswaschung von Nitrat reduziert. Sie hilft dem Boden, Nährstoffe zu speichern. Gleichzeitig bleiben die Düngerstoffe für Pflanzen aber verfügbar. Noch nicht klar ist, welches für die Schweizer Landwirtschaft die beste Anwendungsform ist, um diesen Effekt zu erzielen. So fehlen Erfahrungen für die Anwendung von Pflanzenkohle mit Kunstdünger. Beim Hofdünger ist es ratsam, die Pflanzenkohle nicht erst der Gülle beizumischen, sondern den Kontakt zu den Ausscheidungen möglichst frühzeitig herzustellen, z.B. als Zusatz in der Einstreu im Stall.
Warum ist es besser, die Pflanzenkohle bereits der Einstreu beizumischen?
Hier geht es vor allem um die Reduktion der Ammoniakemissionen. Das gasförmige, beissend riechende Ammoniak entsteht, wenn der Urin mit den Fäkalien in Kontakt kommt. Diesen Kontakt reduziert Pflanzenkohle in der Einstreu – der Harnstoff wird von der Kohle gebunden, bevor er zu Ammonium und anschliessend zu Ammoniak umgewandelt wird.
Wird die Pflanzenkohle direkt in die Gülle eingerührt, können sich die Ammoniak-Emissionen sogar erhöhen. Denn durch die Pflanzenkohle steigt der pH-Wert und es wird mehr Ammoniak gebildet. Eine Zugabe von Pflanzenkohle zur Gülle sollte deshalb immer mit einer anderen Massnahme, z.B. einer Ansäuerung, verbunden werden. Sehr wohl wird die Pflanzenkohle immer dazu führen, dass es weniger stinkt – aber dies bedeutet nicht, dass weniger Stickstoff verloren geht.
Auch die Zugabe von Pflanzenkohle im Futter wird oft propagiert. Was ist wissenschaftlich davon zu halten?
Aus der Praxis sind sehr häufig positive Wirkungen, beispielsweise auf die Tiergesundheit oder eine Reduktion der Zellzahlen in der Milch, zu vernehmen. Ausprobieren lohnt sich. Landwirte, die ihre Tierhaltung aber bereits auf das Tierwohl optimiert haben und den Tierarzt selten brauchen, verspüren möglicherweise kaum eine Wirkung durch die Zugabe von Pflanzenkohle im Futter, da es ohnehin keine Probleme gab. Umfassende wissenschaftliche Studien dazu, gerade für den Schweizer Kontext, fehlen aber meines Wissens. Einen Effekt, den man sich durch die Zugabe von Pflanzenkohle im Rinderfutter erhofft, ist, dass im Pansen weniger Methan gebildet wird. Dies wäre auch im Sinne der Kuh: Jedes Gramm Kohlenstoff, das sie nicht als Methan in die Umwelt abgibt, kann sie für ihr Wachstum brauchen. Gleichzeitig wissen wir, dass die Pflanzenkohle in Biogasanlagen zu einer höheren Methanausbeute beitragen kann. Aktuell erforscht das FIBL mit Beteiligung von Agroscope in einer aufwändigen Studie, wie sich die Methanemissionen von Rindern durch die Zugabe von Pflanzenkohle bei einer typisch schweizerischen Fütterung verhalten.
«Den weitaus grösseren Effekt hat die Pflanzenkohle auf den Wasserhaushalt über den langfristigen Bodenaufbau. Böden mit einem hohen Anteil an organischer Substanz können viel Wasser aufnehmen.»
Pflanzenkohle soll die Böden für Trockenperioden wappnen. Kann sie das?
Pflanzenkohle hat tatsächlich eine hohe Wasserhaltekapazität. Sie kann zwischen zwei- und viermal so viel Wasser aufnehmen, wie sie selbst wiegt. Dies klingt nach viel. In der Praxis aber ist dieser Beitrag wenig relevant. Mit 1-2 Tonnen Pflanzenkohle pro Hektar kann ich etwa 0.1-0.4 Liter Wasser pro Quadratmeter speichern. Anders sieht es aus, wenn ich die Pflanzenkohle konzentriert in der Wurzelzone einsetze. Damit kann ich etwa Jungpflanzen über Frühjahrstrockenheit hinweghelfen.
Den weitaus grösseren Effekt hat die Pflanzenkohle auf den Wasserhaushalt über den langfristigen Bodenaufbau. Böden mit einem hohen Anteil an organischer Substanz können viel Wasser aufnehmen. Diese Fähigkeit gewinnt insbesondere angesichts der zunehmenden Starkniederschläge an Bedeutung. Zudem ist die Aufnahmefähigkeit Grundvoraussetzung, um das Wasser anschliessend zu speichern.
Wie variiert die Wirkung von Pflanzenkohle in Abhängigkeit des Kohletyps?
Dazu gibt es viele Praxiserfahrungen, aber noch kaum wissenschaftliche Untersuchungen, die ein wirklich breites Spektrum an Kohleeigenschaften umfassen. Wir können heute nicht sagen, ob und wenn ja, welche Kohle für eine bestimmte landwirtschaftliche Anwendung besonders gut geeignet ist. Die Routine-Analytik von Pflanzenkohle, wie sie das Bundesamt für Landwirtschaft fordert und im Rahmen der EBC-Zertifizierung durchgeführt wird, gewährt eine sehr gute Anwendungssicherheit der Pflanzenkohle, lässt aber nur wenige Schlüsse zur Wirkung unterschiedlicher Kohletypen zu. Hier besteht noch eine Wissenslücke, die es zu schliessen gilt.
Metaanalysen lassen vermuten, dass Pflanzenkohle aus aschereichem Ausgangsmaterial – zum Beispiel aus Astmaterial, Stroh oder anderen landwirtschaftlichen Reststoffen wirkungsvoller sind für Anwendungen in der Landwirtschaft als solche aus Holz. Der Ascheanteil hat hier keine relevante Düngewirkung, verändert aber offenbar die chemischen Prozesse während der Kohleherstellung. Es entstehen mehr sogenannte funktionelle Gruppen auf der Kohle-Oberfläche. Aber dies ist noch nicht abschliessend verstanden.
«Die organischen Schadstoffe, wie z.B. den polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen – kurz PAK, haben wir über die geltenden Vorschriften im Griff.»
Welche Risiken birgt der Einsatz von Pflanzenkohle in Böden? Müsste man aufgrund des Vorsorgeprinzips die Anwendung auf ein Minimum beschränken?
Die aktuellen Kosten von Pflanzenkohlen, die die Schweizer Vorgaben erfüllen und vom Bundesamt für Landwirtschaft zugelassen sind, beschränkt die Menge schon aus rein wirtschaftlichen Gründen auf 1 bis 2 Tonnen pro Hektar und Jahr – und dies auch nur in Kulturen mit hohem Deckungsbeitrag. Mit diesen praxisrelevanten Mengen kann eine Wirkung erzielt werden, ohne eine Anreicherung von Schadstoffen zu befürchten. Wird über Jahre Pflanzenkohle appliziert, werden wir irgendwann eine optimale Konzentration von Pflanzenkohle erreichen. Wo dieses Optimum ist, gilt es auch zu erforschen – vielleicht nach einer Gabe von insgesamt 20 bis 30 Tonnen pro Hektar. In der Praxis sind wir hier von möglichen Überdosierungen noch weit entfernt.
Sie sprechen die Schadstoffe an. Sind die Grenzwerte für PAK oder Schwermetalle genügend streng?
Die organischen Schadstoffe, wie z.B. den polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen – kurz PAK, haben wir über die geltenden Vorschriften im Griff. Die Grenzwerte für PAK sind die gleichen wie für Kompost. Die Verfügbarkeit von PAK in Pflanzenkohle ist allerdings viel geringer als in Kompost. Hinzu kommt, dass beim Kompost viel grössere Mengen appliziert werden. Und Kompost ist in der Schweiz als sicheres Produkt anerkannt, Pflanzenkohle ist es damit allemal auch.
Neben diesen organischen Schadstoffen gibt es die potenziell toxischen Spurenelemente, umgangssprachlich einfach Schwermetalle genannt. Die Schwermetalle kommen aus der Biomasse und werden auch über andere Wege des Biomasserecyclings in Böden eingetragen, etwa über Kompost oder Gärgut. Die Grenzwerte sind auch hier die gleichen. Da bei der Pflanzenkohle aber viel mehr Biomasse pro kg Trockensubstanz umgesetzt wird, sind die Grenzwerte aus Sicht des Recyclings sogar strenger als beim Kompost. Aus Perspektive des Bodenschutzes, dem wichtigsten Gut der Landwirtschaft, sind diese strengen Grenzwerte vertretbar und bieten hohe Sicherheit für Mensch und Tier.
«Bezüglich PAK schneiden Kohlen aus Kontiki-Öfen zwar gut ab. Trotzdem würde ich diese für den gewerbsmässigen Einsatz nicht empfehlen.»
Wo ziehen Sie eine Grenze beim Einsatz von Pflanzenkohle?
Pflanzenkohle, die den geltenden Anforderungen für den landwirtschaftlichen Einsatz nicht entspricht, hat im Boden nichts verloren. Für Baumaterialien oder andere Anwendungen können sie durchaus geeignet sein, eine entsprechende Nachfrage für diese Anwendungen entsteht gerade. Noch ein Wort zu Pflanzenkohle aus Kontiki-Öfen: Bezüglich PAK schneiden diese Kohlen zwar gut ab. Trotzdem würde ich diese für den gewerbsmässigen Einsatz nicht empfehlen. Denn es ist schade, dass die Wärme nicht genutzt wird, die bei der Produktikon der Pflanzenkohle entsteht. Zudem sind die Emissionen des Kontiki mit jenen eines Lagerfeuers vergleichbar – für einzelne private Anwendungen ist das in Ordnung, aber nicht für eine regelmässige Produktion.
Wo sehen Sie die grössten Wissenslücken?
Für die landwirtschaftliche Anwendungen sehe ich zwei Themen, die wir angehen sollten: Wie können wir die agronomische Wirkung unterschiedlicher Kohle standardisiert nachweisen? Dies ist notwendig, um Empfehlungen für den Einsatz von Pflanzenkohle für spezifische Anwendungen abzugeben.
Zweitens müssen wir die verschiedene Anwendungsfelder differenzieren, abhängig von den Bodeneigenschaften und der Kultur. Darauf basierend müssen wir Empfehlungen erarbeiten, wie die Pflanzenkohle am effizientesten mit der Düngung kombiniert wird.
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